Der Volksmund sagt:
„Was nichts kostet, ist auch nichts wert“.
Stimmt das auch in Bezug auf die gesundheitsbezogene Selbsthilfe? Ganz sicher nicht!
„Menschen sind schon immer dorthin gegangen,
wo andere Menschen sind, die sie verstanden haben.“
Die Selbsthilfegruppenbewegung in Deutschland hat in Michael Lukas Moeller, (* 1937 in Hamburg, † 7. Juli 2002) einen Urheber. Er war ein deutscher Psychoanalytiker und Autor zahlreicher Bücher.
Moeller war von 1973 bis 1983 Professor für seelische Gesundheit in Gießen. 1983 wurde er auf den Lehrstuhl für Medizinische Psychologie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main berufen.
In besonderer Weise hat sich Michael Lukas Moeller um die Selbsthilfegruppenbewegung verdient gemacht. In den siebziger Jahren beschäftigte er sich mit dem Phänomen, dass der Austausch und die wechselseitige Beratung von Menschen, die das gleiche Problem haben, helfen kann, das Problem zu lösen. Er kann als der wichtigste Gründer der neuen Selbsthilfegruppenbewegung in Deutschland gelten.
Ziel der Gruppen ist es, die Lebens- Konflikte wirklich gemeinsam durchzuarbeiten. Das steht völlig im Gegensatz zur bisherigen Praxis: Da waren Ausweichen verleugnen wegschauen oder andere Ersatzverhaltensweisen üblich.
All das benötigt einfach Zeit:
- Widerstände zunächst einmal verstehen
- die Komplexität, d.h. die mehrfachen Bedingungen eines Konfliktes begreifen
- diese Einsichten im täglichen Leben bekommen und schließlich
- die Fähigkeit entwickeln, die eigenen Konflikte zu lösen
- inneren Spaltungen (Dissoziation) aufheben
- Fähigkeit zum Dranbleiben entwickeln
„Selbstentdeckung ist das zentrale Ziel der Selbsthilfegruppen.“ sagt Michael Lukas Moeller.
Deshalb richten sich die Teilnehmer nach einem einfachen Dreisatz:
Keine Fragen. Jeder über sich. Keine Ratschläge.
Das waren in einer Untersuchung von Moeller die häufigsten Antworten auf die Frage, welche „Grundregeln“ man befolgt.
Welche Regeln in unserer Gruppe gelten:
Die Kennzeichen unserer Selbsthilfegruppe sind:
- Betroffenheit durch das gemeinsames Problem Hören
- keine oder geringe Mitwirkung professioneller Helfer,
- keine Gewinnorientierung,
- gemeinsames Ziel: Selbstveränderung und/oder soziale Veränderung,
- gleichberechtigte Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe.
- keine Raumausschmückung durch Dekoration für den Gruppenabend, Ausnahmen bestätigen die Regel
- keine Getränke, Snacks u.a., Ausnahmen bestätigen die Regel
- keine Tische, nur in offener Runde sitzt jeder dem anderen gegenüber
- nur Thema Hören und Artverwandte Themen, Ausnahmen bestätigen die Regel
- keine anderen Themen wie Finanzierung der Gruppe, Öffentlicheitsarbeit u.a. Diese Themen werden vom tragenden Deutschen Schwerhörigenbund Ortsverein Bielefeld e.V. bearbeitet. Wenn die Gruppe Bedürfnis nach diesen Themen hat, werden diese im gesonderten Gesprächskreis besprochen.
Bis zu 10 Teilnehmer sprechen regelmäßig alle 2 Wochen 11/2 Stunden lang ohne Mitwirken eines therapeutischen Experten über ihre Erfahrungen, Probleme und Problemlösungen. Geben einander Rat und Hilfe. Einfühlungsvermögen, Offenheit, wechselseitige Anerkennung und gemeinsames Anteilnehmen setzen einen Prozess der Gruppenselbstbehandlung in Gang, der sich positiv auf die Befindlichkeit und Lebensbewältigung der einzelnen Teilnehmer auswirkt. Dabei ist die Erfahrung des eigenen Erlebens die wichtigste Voraussetzung. Unsere Gruppe wird in Formulierung und Vertretung unseres gemeinsamen Anliegens in der Öffentlichkeit durch den Deutschen Schwerhörigenbund Ortsverein Bielefeld e.V. vertreten.
Die Selbsthilfegruppe bewirkt bei den Teilnehmern:
- eine bessere Bewältigung schleichender Hörverschlechterung („Anderen geht es wie mir“)
- „Ich bin nicht allein“, „Ich fühle mich akzeptiert, wie ich bin“
- mehr Informationen über Hören, Hörstrategien, Hilfsmittel und Therapien
- mehr Eigenkompetenz bei der Auswahl von Hörgeräten, Hilfsmitteln usw.
- soziale Aktivierung
- Verbesserung der Partnerbeziehungen
- teilweise Besserung der Krankheitssymptome
- gezieltere Inanspruchnahme medizinischer und psychosozialer Versorgung
- neue Lebensperspektiven
- allgemeine Verhaltensänderungen (größere Selbstständigkeit, sicheres Auftreten, größere Kontaktfähigkeit, bessere Kooperationsfähigkeit u.a.)
Die Selbsthilfegruppe
- überbrückt die Kluft zwischen privaten Netzen (Familie, Partner, Freunde) und professionellen Versorgungsstrukturen
- ermöglicht Betroffenen gesellschaftliche Teilhabe und politische Einflussnahme
- trägt zur Ergänzung des Versorgungsnetzes bei
- gleicht Defizite des professionellen Versorgungssystems aus
- ermöglicht Betroffenen, ihre Probleme besser zu bewältigen und entlastet damit das professionelle Versorgungssystem
- trägt zur Bewusstseinsbildung von Öffentlichkeit und Politik bei.
Selbsthilfegruppen leisten einen enormen Beitrag für das Gesundheitswesen. Durch Erfahrungs- und Informationsaustausch über medizinische und technische Hilfen sowie sozialrechtliche Fragen werden die Teilnehmer zu „Experten in eigener Sache“
Hermann W. Aufderheide