Von Dieter Meier
Der Resolution ist insoweit zuzustimmen, als eine einseitige Beeinflussung Hörgeschädigter zum CI nicht hingenommenen werden kann. Die Androhung von Zwangsmaßnahmen für den Fall, dass die Zustimmung verweigert werde, ist ein eklatanter Rechtsverstoß. Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ist unmittelbar geltendes Recht, das Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung bindet (Art. 2 Abs. 2 u. 1 Abs. 3 des Grundgesetzes). Die freie Zustimmung zu einem solchen körperlichen Eingriff ist unverzichtbar.
Nach meinen jahrzehntelangen Erfahrungen als Verwaltungsbeamter, der auch für den Verwaltungsnachwuchs engagiert war, weiß ich, dass die oben dargelegten Regelungen fundamentale Grundsätze für Ausbildung und Prüfung Auszubildender sind; der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ist oberstes Gebot in der deutschen öffentlichen Verwaltung. Deswegen kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, dass sich im zunehmenden Maße Fälle mehren, in denen für den Fall der Verweigerung einer CI-OP rechtswidrige Zwangsmaßnahmen angedroht werden. Das können nur Einzelfälle sein, die unkontrollierte, irrige Mitarbeiter zu verantworten haben.
Zudem wären solche angedrohten Zwangsmaßnahmen belastende Verwaltungsakte, die nach geltendem Verfahrensrecht ausführlich zu begründen und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen sind. Es ist davon auszugehen, dass solche belastenden Verwaltungsakte wegen der offensichtlichen eklatanten Rechtsverletzung schon in einem Verwaltungsvorverfahren (Widerspruchsverfahren) keine Chance hätten zu überleben, weil in diesem Verfahren Zweckmäßigkeit und Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nachzuprüfen sind. Das gilt um so mehr für ein gerichtlichen Verfahren. Kein deutsches Gericht würde die Bestandkraft einer solchen rechtswidrigen Maßnahme zulassen.
Bei den behaupteten angedrohten Zwangsmaßnahmen handelt sich also um eine leere Hülse. Insoweit hätte es der Resolution nicht bedurft. Es wäre aber angebracht, die Aufsichtsbehörden der Mitarbeiter zu verständigen, die diese rechtswidrigen Entscheidungen zu vertreten haben, und den Wegfall solcher Handlungen anzumahnen.
Das Recht auf körperliche Unversehrtheit steht aber in einem Spannungsverhältnis zum Recht auf Leben und Gesundheit, vor allem zur Implantationsmedizin, die vielen Menschen geholfen hat, weiterzuleben und Gebrechen zu mildern.
Aus der herausgehoben alleinigen Forderung, die Beteiligten eingehend über die Chancen und Risiken eines CI zu beraten klingt hintergründig eine Aversion über das CI an. In die Beratung sind nämlich alle Möglichkeiten einzubeziehen, den Hörschaden zu mindern, um den Behinderten in die Lage zu versetzen, vollwertig am Gesellschaftsleben teilnehmen zu können. Grundlage dafür sind die Zielsetzungen für Leben und Gesundheit in der UN-Konvention über die Rechte der Behinderten, vor allem in den Artikeln 24 bis 30.
Hiernach ist es für Menschen mit einer Hörbehinderung eine der wichtigsten Forderungen, dass sie Zugang zu einem inklusiven hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterbildenden Schulen haben (Art. 24 Abs. 2 Buchst. b). Mit Gebärdensprache allein ist dieses Ziel nicht zu erreichen. Es steht außer Frage, dass das CI insoweit die wirksamste Hilfe leisten kann. Hierfür gibt es unzählige Beweise, die in Beiträgen von Betroffenen, vor allem junger Menschen, in den Zeitschriften „Schnecke“ und „CI-Impulse“ nachzulesen sind.
Die Resolution ist in der Tendenz CI-feindlich. Sie enthält nicht den geringsten Hinweis auf die segensreichen Erfolge der CI-Therapie, für deren OP inzwischen tüchtige und bewährte Operateure tätig sind, so dass die Risiken minimiert werden konnten; die Nachsorge konnte optimiert werden. Die Wissenschaft und Forschung ist jetzt sogar in der Lage, „nach dem sechsten Lebensmonat eine klare Empfehlung in Bezug auf die Notwendigkeit einer CI-Versorgung auszusprechen“ (Prof. Dr. Lesinski-Schiedat in „Schnecke“ 67, 02/2010 S. 35).
Als alter, spät ertaubter Mensch, der die ganze wunderbare Welt des Hörens fast ein ganzes Leben lang genießen konnte, kenne ich den hohen Stellenwert, den das Hören von Sprache, Musik und all der wundervollen Klänge unserer Welt beizumessen ist. Keinem Menschen sollte man diese Lebensfreude vorenthalten. Wenn auch nichts das intakte menschliche Ohr ersetzen kann, so kann das CI gehörlosen Menschen doch zu einem großen Teil zu einem Hörerleben verhelfen. Wird einem gehörlosen Kind ein CI verweigert, dann hätten die Eltern zu verantworten, dass ihr Kind vielleicht ein Leben lang seine Versehrtheit behält. Mit dem CI hingegen könnte es wenigstens einen gewisse körperliche Unversehrtheit erreichen.
Für mich hätte im Rest meines Lebens nur noch Stille geherrscht, wenn ich nicht beidseitig mit einem CI versorgt worden wäre.
Deswegen ist es mir unverständlich und sogar befremdlich, dass der Deutsche Schwerhörigenbund und – das ganz besonders – die Deutsche Cochlear Implantat Gesellschaft die Resolution in dieser Form mitgetragen haben.