Stellungnahme des Deutschen Schwerhörigenbundes e.V. (DSB)
in Bezug auf die Stellungnahme des Deutschen Berufsverbandes
der Hals-Nasen-Ohrenärzte vom 29.09.2008
zur Anhörung am 24.09.2008 zum Thema GKV-OrgWG – §128 SGB V
Der Deutsche Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte e.V. hat sich am 29.09.2008 mit einem Schreiben an die Vorsitzende des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag, Dr. Martina Bunge, gewandt und sich verstärkt für den verkürzten Versorgungsweg zur Anpassung von Hörgeräten ausgesprochen. Aus Patientensicht stellt der Deutsche Schwerhörigenbund e.V. (DSB) dazu klar:
Beim verkürzten Versorgungsweg handelt es sich nicht um einen praktikablen Lösungsansatz im Sinne der Patienten.
Der DSB besteht darauf, dass es eine medizinische und handwerkliche Trennung bei der Hörgeräteversorgung geben muss. Ein HNO-Arzt ist ein ausgebildeter Mediziner und kein Handwerker ausgebildet in der Hörgeräteakustik. Beide Berufsdisziplinen sind notwendig, um eine adäquate medizinische Versorgung und eine fehlerfreie technische Anpassung mit Hörgeräten von hörgeschädigten Menschen zu gewährleisten. Der HNO-Arzt ist für die medizinische Indikation von Hörschäden zuständig und nimmt eine fachgerechte Diagnose der Hörschädigung vor, während für die Anpassung von Hörgeräten Spezialisten aus dem Gebiet der Hörgeräteakustik erforderlich sind, die eine hoch qualifizierte Ausbildung mit Meisterprüfung erfahren haben
und darauf spezialisiert worden sind, Hörgeräte für die Patienten begleitend anzupassen.
Die Idee des verkürzten Versorgungsweges basiert darauf, dass der HNO-Arzt eine Messung via Audiometer vom Patienten in Form einer Hörkurve anfertigt und einen Abdruck des Ohres oder Abdrücke von beiden Ohren vornehmen lässt. Die Vertragsfirma erhält die Hörkurve und den Abdruck, dort – häufig an einem weit entfernten Ort – werden die Hörgeräte programmiert und die Ohrpassstücke hergestellt. Via Versand wird alles an die HNO-Praxis geschickt und der HNO-Arzt händigt die ihm zugesandten Hörgeräte und Ohrpasstücke dem Patienten in der Sprechstunde aus.
Für einen Außenstehenden suggeriert dieser Ansatz einen logischen Kostensenkungsaspekt, jedoch kommt hier nicht zur Sprache, dass sich Hörgeräte nicht sofort anhand der Hörkurve anpassen lassen, dazu ist die Hörverarbeitung zu komplex. Die Objektivität von Wahrnehmungen und die Verarbeitung von Sinneseindrücken sind bei Menschen höchst unterschiedlich ausgeprägt. Höreindrücke sind formal gesehen subjektiv – daher ist es außerordentlich wichtig, dass bei der Hörgeräteanpassung auf die subjektiven Höreindrücke eingegangen wird. Beim verkürzten Versorgungsweg kann diese Besonderheit nicht berücksichtigt werden, weil dem HNO-Arzt die
berufliche Kompetenz hierzu fehlt. Die Folgen eines falsch angepassten Hörgerätes sind für die Patienten fatal. Anpassungsfehler können zu Kopfschmerzen, Konzentrationsminderung, Übelkeit, Ohrenschmerzen, Tinnitus etc. führen. Dies kann nur vermieden werden, indem die Anpassung gleitend, d.h. sukzessive, mehrfach immer wieder korrigierend durch einen Hörgeräteakustiker erfolgt, der auf die Besonderheiten der Hörwahrnehmung des Patienten eingeht.
Darüber hinaus gibt es nicht das Standardhörgerät, das für alle Hörschädigungen und alle Patienten passt. Gemäß Hilfsmittelrichtlinie hat der Patient Anspruch auf drei verschiedene zu testende Hörgeräte. Diese Regelung wird beim verkürzten Versorgungsweg völlig ausgeschaltet.
Gerade bei der Nachsorge entpuppt sich der verkürzte Versorgungsweg über den HNO-Arzt nicht als lösungsorientierter Ansatz für die Patienten. Wie der DSB seit Jahren aufzeigt, muss die Hörgeräteversorgung als Dauerverwaltungsakt gestaltet werden. Nachsorge bei der Hörgeräteversorgung fällt kontinuierlich an bis zur Wiederversorgung mit den nächsten Hörgeräten. Beim HNO-Arzt fällt für jedes Quartal die Praxisgebühr an. Für Reparaturen wie z.B. das Auswechseln des Hörschlauches als Verbindung vom Ohrpassstück zum Hörgerät kann sich der Schwerhörige nicht erst einen Termin geben lassen. Defekte müssen sofort behoben werden. Solange die Hörgeräte nicht eingesetzt werden können, bleibt der Schwerhörige von der übrigen Welt abgeschnitten, d.h. von der Arbeit, Familie, Studium und von der Schule.
Der DSB distanziert sich von den Forderungen des Deutschen Berufsverbandes der Hals-Nasen-Ohrenärzte und widersetzt sich Bestrebungen, den verkürzten Versorgungsweg als Standardversorgung zu etablieren. Der verkürzte Versorgungsweg geht zu Lasten der qualitätsgerechten Anpassung und der ausreichenden und zweckmäßigen Versorgung der schwerhörigen Patienten mit Hörgeräten. Daher ist der verkürzte Versorgungsweg mit den Vorschriften des gesetzlichen Krankenversicherungsrechts nicht vereinbar.
Berlin, 30. Oktober 2008
Anlage (pdf-Datei):